40 Jahre nach Einstellung des Conterganstrafverfahrens am 18. Dezember 1970 vor dem Landgericht Aachen zieht der Bund Contergangeschädigter und Grünenthalopfer e.V. (BCG) eine bittere Bilanz. „Die Strafverfolgungsbehörden scheinen bis heute dem Wirtz-Clan und den Geschäftsführern ihrer Unternehmen nicht am Zeuge flicken zu wollen, wenn Conterganopfer deren offensichtlichen Straftaten zur Anzeige bringen.“ so Andreas Meyer, Vorsitzender des BCG.

Meyer ließ mit Schriftsatz vom 11. August 2009 über den Rechtsanwalt, Professor Dr. Jan Hegemann, der renommierten Anwaltskanzlei Raue LLP (früher Hogan & Hartson Raue LLP) gegen die Geschäftsführer der Dalli-Werke GmbH und Co. KG, Dr. Hermann Wirtz und Ulrich Grieshaber, sowie dem Geschäftsführer der Mäurer & Wirtz GmbH und Co. KG und der 4711 Glockengasse Köln GmbH, Johannes Verhoog, Strafanzeige wegen der Abgabe von falschen eidesstattlichen Versicherungen, Prozessbetrug sowie Anstiftung hierzu erstatten. Professor Hegemann vertrat auch erfolgreich den WDR und den Produzenten des Conterganspielfilms gegen die Conterganherstellerfirma Grünenthal, die den Spielfilm zu verhindern versuchte. Hintergrund der Strafanzeige war das einstweilige Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Köln, mit dem die Dalli-Werke, Mäurer & Wirtz sowie die 4711 Glockengasse Köln GmbH im Februar 2009 einen Boykottaufruf von Meyer und dem BCG unterbinden wollten. Über den positiven Ausgang des Verfahrens für Meyer und den BCG hatten nahezu sämtliche Medien seinerzeit berichtet. Meyer wurde damals ebenfalls von Professor Hegemann vertreten.

„Um die einstweiligen Verfügungen gegen den BCG und mich zu erwirken, wollten die Geschäftsführer Grieshaber und Verhoog dem Landgericht Köln durch falsche eidesstattliche Versicherungen weismachen, sie hätten erst im Frühjahr 2009 von unserem Boykottaufruf erfahren. Dabei haben sie verschwiegen, dass wir unserem Boykottaufruf bereits 2007 gemacht haben.“ sagt Meyer. Tatsächlich hatten sämtliche Medien im Jahre 2007 über den Boykottaufruf des BCG und von Meyer im Rahmen der Mahnwache des BCG vor den Toren der Conterganherstellerfirma Grünenthal zum 50. Jahrestag der Markteinführung von Contergan berichtet. Die falsche eidesstattliche Versicherung von Grieshaber führte zum Erlass der einstweiligen Verfügungen gegen den BCG und Meyer, weswegen nach Auffassung von Meyer ein vollendeter Prozessbetrug vorlag. Im Widerspruchsverfahrens der einstweiligen Verfügungssache vor dem Landgericht Köln gab dann Grieshaber aber in einer weiteren eidesstattlichen Versicherung zu, dass er von der Mahnwache des BCG Kenntnis hatte und an diesem Tag anwesend war.

In seinem Urteil vom 24.6.2009 zur Aufhebung der einstweiligen Verfügungen gegen den BCG und Meyer führte das Landgericht Köln hierzu aus: „Die Kammer geht davon aus, dass die Verfügungsklägerinnen die Annahme einer Dringlichkeit durch ihr eigenes Vorprozessuales Verhalten ausgeschlossen haben. Ein Verfügungsgrund fehlt aufgrund von Selbstwiderlegung grundsätzlich dann, wenn dem Verfügungskläger bekannt war, dass gleiche oder ganz ähnliche Aussagen bereits längere Zeit zuvor aufgestellt wurden …“ An einer anderen Stelle im Urteil heißt es: „Soweit die Kammer nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen vom 18.02.2009 durch die Geschäftsführer Grieshaber und Verhoog bei Erlass der einstweiligen Verfügung davon ausgegangen ist, dass die Verfügungsklägerinnen erstmals am 23. Januar 2009 Kenntnis von den Boykottaufrufen erhalten haben, ist diese Glaubhaftmachung auch erschüttert.“

Die Strafanzeige gegen Dr. Hermann Wirtz erläutert Meyer: „Wegen der beherrschenden Stellung von Dr. Hermann Wirtz als geschäftsführender Gesellschafter der Dalli Werke, denen wiederum die Firma Mäurer & Wirtz sowie 4711 gehören, ist es völlig unwahrscheinlich, dass die falschen eidesstattlichen Versicherungen seiner Geschäftsführer nicht mit ihm abgesprochen gewesen waren. Auch ist es völlig unwahrscheinlich, dass Herr Dr. Hermann Wirtz als Gesellschafter der Firma Grünenthal angesichts der umfangreichen Medienberichterstattung nichts von unserer Mahnwache und den damit verbundenen Boykottaufruf gewusst hat. Daher haben wir gegen Dr. Hermann Wirtz Strafanzeige wegen Anstiftung zur Abgabe von falschen eidesstattlichen Versicherungen erstattet.“

Wie bereits im Conterganstrafprozeß vor 40 Jahren stellte jedoch die Staatsanwaltschaft Aachen das Strafverfahren am 20.4.2010 nicht etwa wegen erwiesener Unschuld sondern wegen angeblich geringfügiger Schuld der Beschuldigten und fehlendem öffentlichen Interesse ein. Zu den Einstellungsgründen führt Frau Staatsanwältin Weber u.a. aus: „Zwar sind die Mahnwache im Jahr 2007 und die anschließende Medienresonanz, die die Produkte „Tabak“, „Nonchalance“, „Tosca“ und „4711“ sowie Waschmittel der Firma Dalli-Werke im Rahmen der Antragstellung nicht vorgetragen worden. Dies bedeutet jedoch nicht im Umkehrschluss, dass eine entsprechende Offenbarungspflicht im Rahmen der Versicherungen an Eides statt bestand.“ Zudem seien die 3 Beschuldigten strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten.

Am 17. Mai 2010 legte Herr Professor Hegemann für Herrn Meyer gegen die Einstellung des Strafverfahrens bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln Beschwerde ein. Am 24.8.2010 wurde die Beschwerde jedoch von der Generalstaatsanwaltschaft Köln als unbegründet zurückgewiesen. In der Begründung der Zurückweisung folgt die Generalstaatsanwaltschaft Köln im Ergebnis der Staatsanwaltschaft Aachen und führt hierzu unter anderem aus: „Das Bewusstsein, dass die unterbliebene Offenbarung der Vorgänge aus dem Jahr 2007 die Bedeutung ihrer eidesstattlichen Erklärungen für das Urteil grundlegend beeinträchtigen würde, wird den Beschuldigten nicht unterstellt werden können. Erfolgversprechende Ansätze sind insoweit auch nicht ersichtlich. Auch als fahrlässige Tat kommt eine Strafbarkeit hier nur in Betracht, wenn die Täter den Erfolg nach ihren subjektiven Fähigkeiten bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätten erkennen können. Dies ist hier allenfalls nur in geringem Umfang der Fall.“ Des weiteren heißt es: „Es ist deshalb auch fraglich, ob die Beschuldigten selbst in der Lage waren, diese rechtlich eher schwierige Frage zutreffend zu beurteilen, und sich daher nur im Vertrauen auf die damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger, die erfahrungsgemäß solche Erklärungen vorbereiten, geäußert haben.“ Hegemann zum Ausgang des neuerlichen Strafverfahrens: „Das sind schon Drehungen und Windungen, mit denen die objektiv falschen eidesstattlichen Versicherungen der anwaltlich vorzüglich beratenen Geschäftsführer hier in den Bereich allenfalls leichtester Fahrlässigkeit mit entsprechend geringster Schuld gerückt werden.“

Nach Auffassung des BCG ist mit dem Ausgang dieses Strafverfahrens wie auch mit dem Conterganstrafverfahren vor 40 Jahren erwiesen worden, dass nach wie vor mit fadenscheinigen Gründen verhindert werden soll, dass offensichtliche Delikte aus dem Kreise der Grünenthaleigentümer-Familie Wirtz und von Personen aus der Firmenleitung ihres Konsortiums strafrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen haben werden.

Schon vor 40 Jahren sei der Einstellungsbeschluss des Landgerichts Aachen vom 18. Dezember 1970 der erste Schritt auf dem Weg einer systematischen Entrechtung der Conterganopfer gewesen. So wäre schon während des Strafprozesses sehr früh eine Parteilichkeit des Gerichts und eine massive Einflussnahme auf die Staatsanwaltschaft zu Gunsten der Grünenthalverantwortlichen erkennbar gewesen.

Am 242. Verhandlungstag des Conterganstrafprozesses mußten die rechtlichen Vertreter der Conterganopfer gegen einen der beisitzenden Richter einen Befangenheitsantrag stellen, weil dieser bei einem heimlichen Gespräch mit einem Verteidiger der Grünenthalverantwortlichen gesehen wurde. Als sich auch die Staatsanwaltschaft außerstande sah, dem Ablehnungsantrag entgegenzutreten, erklärte sich der betreffende Richter selbst für befangen und schied so aus dem Verfahren aus. Während des Conterganstrafprozesses wurde Dr. jur. Dr. rer. pol. Joseph Neuberger (SPD) zum Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen ernannt. Neubergers Anwaltssozietät verteidigte einen der Grünenthalverantwortlichen. „Nunmehr stand durch Neuberger auf der Seite der Verteidigung der oberste Dienstherr der Staatsanwaltschaft.“ sagt Meyer. Prozessteilnehmern zufolge sei seit diesem Zeitpunkt die engagierte Arbeit des damaligen Oberstaatsanwalts Dr. Josef Havertz erheblich erschwert worden.

Nahezu unbestritten ist heute jedenfalls, dass die Einstellung des damaligen Conterganstrafverfahrens wegen angeblich geringfügiger Schuld der Angeklagten und fehlendem öffentlichen Interesse mit einem noch während des Strafprozesses ausgehandelten Vertrag verknüpft war, in dem sich Grünenthal verpflichtete, 100 Millionen DM plus Zinsen an die Conterganopfer zu zahlen. Im Gegenzug mussten die Eltern der Conterganopfer auf Schadensersatzansprüche in Milliardenhöhe verzichten. „Die Grünenthalverantwortlichen nutzten die finanzielle Notlage unserer Eltern schamlos aus, um sich mit den 100 Millionen DM aus der strafrechtlichen und zugleich zivilrechtlichen Verantwortung zu kaufen. Richter und Staatsanwälte wussten genau, dass die Strafprozessordnung damals die Einstellung eines Strafverfahrens gegen Zahlung eines Geldbetrages nicht vorsah. Eine solche Bestimmung wurde aus gutem Grunde später in die Strafprozessordnung eingefügt. Vor diesem Hintergrund sind auch die gekünstelten juristischen Konstruktionen der Begründung des damaligen Einstellungsbeschlusses zu sehen.“ führt Meyer aus.

Doch auch dies sei der Grünenthaleigentümer-Familie Wirtz noch nicht genug gewesen: „Einige Jahre später klagten die früheren geschäftsführenden Gesellschafter der Firma Grünenthal, Michael Wirtz und Dr. Franz Wirtz, die 100 Millionen DM plus Zinsen von unseren Eltern wieder heraus, um mit unserem Geld zusammen mit der Bundesregierung ein Stiftungsgesetz ins Leben zu rufen. Das Gesetz enthält eine Bestimmung, nach dem die Conterganopfer niemals mehr Schadensersatzansprüche gegen Grünenthal geltend machen können. Damit haben die Herren Michael Wirtz und Dr. Franz Wirtz unter den Augen von Richtern und Strafverfolgungsbehörden die schlimmste Stufe unserer Entrechtung umgesetzt.“ so Meyer weiter.

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Pressemitteilung_40_Jahre_Einstellung_Strafverfahren_17_12_2010_Endfassung