EMAIL: WED, 18 MAY 2016 18:03:06 +0200

BETREFF: BESCHLUSSVORLAGE ZUR BEANTRAGUNG EINES JEWEILIGEN BUDGETS FÜR DEN EINSATZ VON GEBÄRDENSPRACHDOLMETSCHERN FÜR DIE BETROFFENENVERTRETER UND DEREN STELLVERTRETER IM STIFTUNGSRAT DER CONTERGANSTIFTUNG FÜR BEHINDERTE MENSCHEN (KORRIGIERTER BETREFF)

Von:

Meyer, Andreas
andreas.meyer@……

An:

Linzbach, Christoph
Christoph.Linzbach@……

Kopie (CC):

Held, Katja
Katja.Held@……

Kruse, Kristina
Kristina.Kruse@……

Homann, Ulrich
Ulrich.Homann@……,

Wesche, Diana Claudia
DianaClaudia.Wesche@……,

Sartor, Dr. Petra
petra.sartor@……,

Spätling-Fichtner, Petra
petra.spaetling-fichtner@……,

Stürmer, Christian
contergan@……,

Ehrt, Bettina
bettina.ehrt@……,

Herterich, Udo
herterich@……,

Rupprecht, Marlene
marlene.rupprecht@……,

Hudelmaier, Margit
margithud@……,
Margit.Hudelmaier@……

Andreas Meyer
ordentliches Mitglied im Stiftungsrat
der Conterganstiftung für behinderte Menschen
Dohmengasse 7, 50829 Köln
Telefon: 0221 / 9505101,Telefax: 0221 / 9505102
E-Mail: andreas.meyer.stiftungsrat@web.de

An die
Conterganstiftung
für behinderte Menschen
– Geschäftsstelle –
Sybille-Hartmann-Str. 2-8
50969 Köln

Zur Weiterleitung an:

den Stiftungsratsvorsitzenden Christoph Linzbach
die Mitglieder des Stiftungsrates und deren Stellvertreter
den Vorstand der Conterganstiftung

18.05.2016

Betrifft: Beschlussvorlage zur Beantragung eines jeweiligen Budgets für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern für die Betroffenenvertreter und deren Stellvertreter im Stiftungsrat der Conterganstiftung für behinderte Menschen

Sehr geehrter Herr Linzbach, sehr geehrte Damen und Herren,

zum Tagesordnungspunkt „Situation, Barrierefreiheit und spezifische Bedarfe gehörloser Leistungsberechtigter“ der nächsten Stiftungsratssitzung am 15.6.2016 bitte ich folgende Beschlussvorlage zur Abstimmung zu bringen:

Beschlussvorlage

Jeder Betroffenenvertreter und dessen Stellvertreter/Stellvertreterin im Stiftungsrat erhält ein Budget von pro Monat höchstens 7 Stunden für den Einsatz von pro Termin 2 Gebärdensprachdolmetscher gemäß dem beiliegenden Kostenvoranschlag (wird noch nachgereicht) für die Kommunikation sowie für Beratungs- und Informationsgespräche mit gehörlosen Leistungsberechtigten.

Bei der Wahl der jeweiligen Gebärdensprachdolmetscher sind die Wünsche der gehörlosen Leistungsberechtigten zu berücksichtigen.

Das Budget enthält auch die Übernachtungskosten, Fahrzeit und die jeweiligen Fahrtkosten der beiden Gebärdensprachdolmetscher (Kostenvoranschlag für Fahrzeit und Fahrtkosten wird noch nachgereicht).

Der Einsatz der Gebärdensprachdolmetschers kann von diesen selber bis zur Erschöpfung des jeweiligen monatlichen Budgets des jeweiligen Betroffenenvertreter und seines Stellvertreters direkt mit der Conterganstiftung abgerechnet werden.

Das Budget wird auch im Falle einer Kandidatur, Wiederwahl oder Neubestellung der Betroffenenvertreter und ihrer Stellvertreter im Stiftungsrat gewährt.

Hilfsweise beantrage ich ein derartiges Budget für mich alleine bis zum Ende meiner Amtszeit – auch im Falle meiner Wiederwahl -, da ich niemals wegen meiner conterganbedingten Armbehinderung die Gebärdensprache ausüben könnte.

Begründung

Immer wieder traten gehörlose Leistungsberechtigte an die Betroffenenvertreter oder/und deren Stellvertreter im Stiftungsrat heran, um etwas über die Aufgaben und die Arbeit der Conterganstiftung zu erfahren.

Dabei stellte sich heraus, dass es in den Kreisen der gehörlosen Contergangeschädigten einen erheblichen Informationsbedarf im Hinblick auf die Struktur und Arbeits der Organe der Conterganstiftung gibt.

Teilweise wurden Conterganstiftung und Conterganverbänden und deren Organe miteinander verwechselt, so dass mit Schrecken festgestellt werden mussten, welche Verständnis- und Informationsdefizite es bei gehörlosen Contergangeschädigten überhaupt zur Arbeit der Stiftung und darüber hinaus sogar überhaupt zum Contergan-Skandal überhaupt gibt.

Ferner mussten festgestellt werden, dass hinsichtlich der spezifischen Bedarfe und der anderen Stiftungsleistungen oder allein schon zum funktionellen Geschehen innerhalb der Conterganstiftung ein dringender Beratungsbedarf existiert.

Hierbei war ebenfalls festzustellen, dass zum Stellen von Anträgen auf Stiftungsleistungen, insbesondere der spezifischen Bedarfe, nicht nur unbedingt ein persönlicher Beratungsbedarf vorliegt, sondern auch die Stellung der Anträge von uns Betroffenenvertretern und unseren Stellvertretern begleitet werden muss.

Da zum Stiftungsratsamt als gewählte Betroffenenvertreter (für unsere Stellvertreter gilt im folgenden stets dasselbe wie für uns Betroffenenvertretern) auch eine Unterrichtung der Betroffenen über die Inhalte der Stiftungarbeit sowie deren Struktur und funktionellen Abläufe innerhalb der Conterganstiftung und die Beratung der Leistungsberechtigten hinsichtlich der erfolgreichen Antragstellung auf Stiftungsleistungen gehört, müssen diese dazu in der Lage sein, als Betroffenenvertreter auch mit gehörlosen Contergangeschädigten zu kommunizieren.

Wie Sie wissen, wird insbesondere der Betroffenenvertreter Herr Andreas Meyer aufgrund seiner Armschädigungen selber niemals in der Lage sein, die Gebärdensprache auszuüben.

Ferner ist Ihnen vermutlich ebenfalls bekannt, dass gerade geburtsbehinderte Gehörlose erhebliche Schwierigkeiten haben, die Schriftsprache der hörenden Welt zu verstehen, weil sie keinen sensorischen Bezug zur Wahrnehmung der Lautbildung der verbalen Sprache von hörenden Menschen haben können.

Entsprechend heißt es in der dieser Beschlussempfehlung beiliegenden Forschungsarbeit mit dem Titel „Schriftsprachkompetenz gehörloser Erwachsener“ von Klaudia Krammer des Forschungszentrums für Gebärdensprache und Hörgeschädigtenkommunikation der Universität Klagenfurt aus den Jahre 2001 in der Einleitung auf Seite 1:

„Aufgrund ihrer Behinderung ist es Gehörlosen nicht möglich Lautsprache in dem Ausmaß zu erlernen, wie es für das Alltagsleben in der hörenden Welt erforderlich ist. In den meisten Fällen liegt ein mühsamer Weg der Lautsprachanbahnung hinter ihnen. Trotzdem bleibt ihre Lautsprache in den meisten Fällen für Außenstehende unverständlich. Ein weiteres Problem ist, dass Ihnen in Kommunikationssituation mit Hörenden die Lautsprache nur über Lippenablesen zugänglich ist. Doch selbst wenn ein Gehörloser sehr gut im Lippenablesen ist, wird er nie 100 % von dem Gesagten verstehen. Die dadurch entstehenden Verständnislücken muss er durch Vermutungen schließen, so dass es zu einer Diskrepanz zwischen Gesagtem und Verstandenem – auf Seiten des Gehörlosen – kommt. Aufgrund der hohen Fehleranfälligkeit und der für beide Seiten äußerst aufwändigen und mühsamen Kommunikation, vermeiden Gehörlose häufig den Kontakt mit Hörenden. Sie bevorzugen es, in ihren eigenen Kreisen zu bleiben, wo sie sich ohne große Mühe mittels Gebärdensprache verständigen können.“

Auf Seite 2 der Einleitung der obigen Forschungsarbeit wird ergänzt:

„Der dazwischenliegende Schritt – nämlich die Möglichkeit, die der Computer bzw. das Internet zur Verfügung stellt zu nutzen, für die aber gute Schriftsprachkenntnisse eine Grundvoraussetzung sind – dieser Schritt wird von Gehörlosen in vielen Fällen ‚übersehen‘. Ein Grund dafür dürfte wohl darin liegen, dass die Schriftsprachkompetenz der meisten Gehörlosen auf einem erschreckend niedrigem Niveau angesiedelt ist. Einerseits vermeiden sie daher in die Öffentlichkeit (Internet) zu treten und andererseits können sie die im Internet angebotenen Informationen nicht nutzen, weil sie nicht verstanden werden. Gehörlose sind oft schon mit den Untertiteln im Fernsehen überfordert; bei der Lektüre der Zeitung werden teilweise nur die Überschriften gelesen, da der restliche Text zu schwierig ist.“

Umso schwerer ist es für diese Menschengruppe, sehr komplexe Sachverhalte (und das Thema Contergan reicht in juristische, medizinische sowie psychische und sozialpolitische Themenbereiche hinein) auch nur anhand von schriftlichen Darstellungen und Informationen zu verstehen.

Entsprechend haben gehörlose Leistungsberechtigte auch erhebliche Schwierigkeiten dabei, ihre konkreten Bedarfe im Lebensalltag funktionell darzustellen und entsprechend Hilfsmittel dafür zu beantragen.

In der obigen Forschungsarbeit in der Zusammenfassung zum Themenkomplex Schriftsprachkompetenz heißt es hierzu auf Seite 46 unter der Rubrik 4.1.5.:

„Ein weiteres wichtiges Testergebnis ist, dass die Sprachentwicklung gehörloser Kinder dem normalen Spracherwerbsmuster entspricht – allerdings nur mit einer Verzögerung. Eben diese Verzögerung manifestiert sich auf allen Ebenen der Sprachkompetenz und führt dazu, dass Gehörlose Probleme mit dem Verständnis der Schriftsprache, besonders in den Bereichen Lexik und Grammatik, haben. Das Verstehen und die Produktion von komplexen Sätzen/Texten ist für Gehörlose mit großen Schwierigkeiten verbunden.“

Dies bedeutet auch, dass schriftliche Texte im Internet oder durch Post oder E-Mail übersandte Dokumente – auch die in einfacher Sprache – für Gehörlose in der Regel nicht verstanden werden.

Daher müssen gehörlose Leistungsberechtigte sich schriftlich verfasste Texte in der Regel von Gebärdensprachdolmetschern übersetzen lassen, wenn Sie diese nur annähernd verstehen wollen und sollen.

In der obigen Forschungsarbeit heißt es hierzu in der Zusammenfassung zum Themenkomplex Lesekompetenz unter 4.2.10 auf Seite 59:

„Der geringe Wortschatz der Gehörlosen kann auch beim Lesen als die Hürde bezeichnet werden. Gehörlose Schüler verfügen oft über einen so geringen Wortschatz, dass sie nicht in der Lage sind, ‚relevante Segmente (Morpheme Sprach-, Sprechsilben) zu entdecken‘ (Wudtke 1993:213) Sind die Kinder mit dem Textvokabular überfordert, zerfällt der Leseprozess und es wird mehr geraten als sinnerfassend gelesen. Da nicht nur der Wortschatz, sondern auch die morphologischen und syntaktischen Kenntnisse von Gehörlosen oft auf einer frühen Erwerbstufe stehen stehen bleiben, können sie keinen Nutzen aus den schriftlichen Informationen ziehen, die ihnen theoretisch zugänglicher sind als das gesprochene Wort. Die tägliche Lektüre vieler gehörloser Erwachsener ist oft auf leicht zu lesende Tageszeitungen und Zeitschriften beschränkt, wobei der Sportteil mehr interessiert als der politische Teil. Teilweise werden überhaupt nur Überschriften zur Kenntnis genommen.“

Entsprechend sind Gebärdensprachdolmetscher in Beratungs- und Informationsgesprächen auch zum besseren Verständnis komplexer Sachverhalte unbedingt notwendig!

Insofern ist es den Betroffenenvertretern im Stiftungsrat bisher nicht möglich, ihr Amt für gehörlose Contergangeschädigte beratend und informierend auszuüben, weil sie weder schriftlich noch mündlich mit gehörlosen Leistungsberechtigten kommunizieren können.

Die meisten gehörlosen Contergangeschädigten sind in den sechziger Jahren geboren und haben infolgedessen hinsichtlich ihrer Schriftsprachkompetenz aufgrund der seinerzeit rückständigen schulischen Förderung von gehörlosen Menschen die oben beschriebenen Mängel.

Daher möchte ich Sie als Mitglieder des Stiftungsrates dringend im Sinne der Barrierefreiheit unserer Arbeit bitten, für jeden Betroffenenvertreter im Stiftungsrat der Conterganstiftung (einschließlich der Stellvertreter) einen Etat bereitzustellen, damit jeder Betroffenenvertreter und jeder ihrer Stellvertreter/In dazu in der Lage ist, pro Termin mit gehörlosen Leistungsberechtigten für sich 2 Gebärdensprachdolmetscher dazu zu beauftragen, damit er/sie bei entsprechenden Beratungsgesprächen und der informellen Darstellung der die generellen Aufgaben, Arbeit und Struktur der Conterganstiftung zur Kommunikation mit gehörlosen Leistungsberechtigten von 2 Gebärdensprachdolmetschern begleitet werden kann.

Da diese Gespräche zwangsläufig in den Bereich der Privatsphäre der gehörlosen Contergangeschädigten hineinreichen können, ist es unbedingt erforderlich, dass bei der Auswahl des Gebärdensprachdolmetschers auch die Wünsche des/der jeweiligen gehörlosen Contergangeschädigte unbedingt zu berücksichtigen sind.

Bei jedem Termin werden 2 Gebärdensprachdolmetscher gebraucht, weil diese sich wegen der anstrengenden Simultanübersetzung während des Termins alle halbe Stunde stets gegenseitig abwechseln müssen.

Fahrt und Übernachtungskosten der Gebärdensprachdolmetschern müssen mit in das Budget aufgenommen werden, damit die Betroffenenvertreter unter den Organmitgliedern auch im Bedarfsfall mit Gebärdensprachdolmetschern im gesamten Bundesgebiet und auch ins Ausland zu gehörlosen Leistungsberechtigten reisen können.

Ich vermute aber, dass die Fälle, in denen weite Reisen vorgenommen werden müssten, eher selten sein werden.

Ferner könnten hierdurch die bereits informierten, gehörlosen Contergangeschädigten andere gehörlose Contergangeschädigte weiter informieren.

Insofern können aus den Beratungs- und Informationsgesprächen die Synergieeffekte für viele weitere gehörlose Contergangeschädigte genutzt werden.

Daher möchte ich für jeden Betroffenenvertreter und deren Stellvertreter im Stiftungsrat der Conterganstiftung pro Monat 7 Stunden für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern gemäß dem beiliegenden Kostenvoranschlag für Beratung- und Informationsgespräche mit gehörlosen Contergangeschädigten beantragen.

Die Einbeziehung der Stellvertreter der Betroffenenvertreter im Stiftungsrat dient nicht nur der Vertretung im Krankheitsfalle oder bei Unpässlichkeit, sondern ist auch dem Umstand geschuldet, dass auch die Vertreter der Betroffenenvertreter häufig in der Region, in der sie leben, von Leistungsberechtigten angesprochen werden, und beratende und informelle Gespräche führen müssen.

Gleichzeitig werden die Betroffenenvertreter bei ihrer Arbeit erheblich entlastet und die Synergie-Effekte durch die Arbeit von 4 Personen anstatt von 2 Personen verdoppelt.

Beschlussempfehlung:

Der Stiftungsrat stimmt dem Antrag zu.

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Meyer

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Meyer